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Sudan
7.7. - 23.7.2007
Salam aleikum - im grössten Land Afrikas. Mit
über 2.5 Millionen Quadratmetern ist der Sudan rund 63 mal grösser als die
Schweiz oder gut 7 mal so gross wie Deutschland. Wir allerdings sahen von diesem
riesigen Land nur einen kleinen Teil. Von Osten her reisten wir etwa in der
Mitte des Landes ein und fuhren durch die Wüstenlandschaften des Nordens. Der
tropisch grüne Südsudan und der hüglige Westen können zur Zeit des andauernden
Bürgerkrieges wegen nicht bereist werden. So erhielten wir in landschaftlicher
Hinsicht zwar ein einseitiges Bild vom Sudan, das uns aber gut gefiel. Die schon
fast legendäre sudanesische Gastfreundschaft sucht tatsächlich ihresgleichen in
Afrika, wartete bereits bei der Einreise auf uns und nahm uns sehr für dieses
Land ein.
Nachmittags um drei Uhr, am letzt möglichen
Einreisetag gemäss unserem Visum, kreuzten wir am Einreiseschalter in Gallabat
auf. Zügig knallte uns der Beamte den Stempel in den Pass und schickte uns ein
Haus weiter für die Zollformalitäten, von wo aus es dann weiter gehen sollte zum
ominösen Securitycheck. Die zwei freundlichen Herren beim Zoll in ihren weissen
wallenden Gallabyias plauderten mit uns, schrieben Pässe und Carnet ab und
erklärten schliesslich, dass wir noch auf den Oberzöllner warten müssten. Sie
hätten bereits nach ihm geschickt. Wir warteten und warteten und warteten.
Mehrere erfolglose Oberzöllner-Motorrad-Abholdienste später entschieden wir uns,
zwischenzeitlich erst mal bei der Security am Ende des Dorfes vorbeizuschauen.
Mit einiger Mühe riss sich der Security-Mensch von seiner Fernseh-Soapopera los
um unsere Personalien aufzunehmen. Allerdings konnte er mit unseren Pässen nicht
viel anfangen. Wir mussten ihm die Personalienseite im Pass vorlesen, damit er
das Gehörte in arabisch auf sein Formular kritzeln konnte. Der gute Mann konnte
offenbar mit unserer Schrift nichts anfangen und kannte nur die arabischen
Zeichen. Er hielt also unsere Namen, so wie er sie eben verstand in
arabisch fest - wir wollen gar nicht wissen was dabei herauskam... (Die selbe
Erfahrung machten wir übrigens immer wieder bei den zahlreichen Checkpoints der
Touristpolice.) Auf das Securityformular kam noch ein Passfoto und die
Fingerabdrücke beider Daumen. Fast wie in einem Krimi! Nach unserer Aufnahme in
die Verbrecherkartei schlenderten wir wieder zum Zoll zurück - nur um weiter zu
warten. Um fünf kam dann aber Leben in die Bude: die Schreibtische wurden
rumgerückt und vollständig leer geräumt und - Essen wurde in grossen Schüsseln
aufgetragen. Für die Beamten war es selbstverständlich, dass wir zum Essen mit
eingeladen wurden. Unser höffliches Ablehnen, der ungewohnten Hitze wegen
verspürten wir keinen Hunger, fand kein Gehör. Wir wurden genötigt, grosszügig
zuzulangen. Zuzulangen im wahrsten sind des Wortes: In arabischen Ländern wird
von Hand gegessen. Schnell erinnerten wir uns daran, dass fürs Essen nur die
rechte Hand verwendet wird. Die linke Hand gilt als unrein, da sie dem WC-Besuch
vorbehalten ist. Wir rissen uns also einhändig mundgrosse Stücke aus dem
Fladenbrot und tunkten sie wie unsere zehn Mitesser in eine der grossen
Schüsseln um etwas Ful (Bohneneintopf) oder Adis (Linsen) oder
Fleischbrocken aufs Brot zu schaufeln und dieses mit möglichst wenig Verlust in
den Mund zu transportieren. Lecker! So lässt sich problemlos warten. Nach
ausgiebigem Händewaschen wurde uns noch Shai serviert. Der sehr süsse und
unheimlich starke Schwarztee lässt vermutlich sogar Scheintote wieder
auferstehen. Uns jedenfalls rauscht das Blut in den Adern. Und dann hörten wir
Motzorradknattern, das sich schnell näherte - das musste nun doch endlich der
Oberzöllner sein! Erwartungsvoll unter der Tür stehend trauten wir unseren Augen
kaum. Da kamen doch tatsächlich die beiden Schweden Stellan und Thomas
angerollt, die wir in Addis Abeba getroffen hatten und die wegen fehlender
Zollpapiere für Ägypten mit ihren Motorrädern von Äthiopien nach Europa fliegen
wollten ( www.tour-africa.se ). Mittlerweile hatten sie sich doch behelfsmässige Papiere für Ägypten
beschaffen können. Im grossen Hallo und Austausch der neusten Reiseerlebnisse
verging die Zeit wie im Flug. Endlich kreuzte dann der Oberzöllner nach 3
Stunden Wartezeit um 18 Uhr doch noch auf (von Manon und Peter erfuhren wir,
dass sie eine Woche später ganze vier Stunden auf diesen Zollheini hatten warten
müssen!). Zu unserem Ärger mussten wir Computer und Fotokameras aus dem Auto
packen um sie mit Seriennummer auf einem Zollformular einzutragen - für teure
7.-$. Unverständlicherweise mussten auch nur wir als Autofahrer dieses
Formular ausfüllen und bezahlen. Die beiden Motorradfahrer mit den selben
elektronischen Apparaten im Gepäck durften problemlos passieren. Alles
diskutieren half nichts und für weitere Proteste fehlte uns nun mittlerweile
auch die Energie. Wir wollten nur noch weg um so rasch wie möglich in einigen
Kilometern ein vernünftiges Bushcamp aufzuschlagen.
Auf der Kinderpopo glatten Asphaltstrasse holten
wir 50 Kilometer später Stellan und Thomas wieder ein und zusammen machten wir
uns beim letzten Tageslicht auf die Suche nach einem geeigneten Platz fürs Camp.
Gar nicht so einfach in der topfebenen Landschaft! Während wir schliesslich nach
einem grossen Topf Chili con Carne gemütlich am Tisch sassen und plauderten,
stellte sich heraus, dass der gewählte Platz nicht gerade das Gelbe vom Ei war. Es
wimmelte nur so von Insekten - und Skorpionen! Schnell packten wir Mali, die ihr
erstes leinenloses Camp nach den schwierigen Wochen in Äthiopien so richtig
geniessen wollte, ins Auto. Unterdessen hatte sich Karsten ungeduldig und ohne
hinzuschauen ein Insekt weggewischt, das im die nackte Wade hoch gekrabbelt war.
Das Tier wehrte sich mit einem heftigen Stich in Karstens Finger. Dumm gelaufen,
das war ein Skorpion gewesen! Schnell tauchte Karten seinen Finger in Essig bis
der Schmerz nachliess. Zum Glück war dieser Skorpion so klein, dass sein Stich
für Karsten etwa die gleiche Wirkung hatte wie ein Bienenstich. Für Mali mit
ihren knapp 15 Kilo hätte es aber ganz anders ausgehen können.
Beim ersten Tageslicht schwangen sich Stellan
und Thomas bereits wieder in ihre Sättel, während wir noch kaum die Augen
aufbrachten. Aber im Gegensatz zu ihnen war es uns auch nicht wichtig, noch am
selben Tag Sudans Hauptstadt Khartum zu erreichen. Wir bummelten mit einem
langen und ausgiebigen Frühstück und genossen es, nach Äthiopiens
Aufdringlichkeit endlich wieder unsere Ruhe zu haben. Vom dem Moment an, wo wir
die Grenze zum Sudan überquert hatten, gab es kein you-you-Geschrei und keine
Bettelei mehr. In tatsächlicher Distanz trennen die beiden Länder nur einige
Meter, in kultureller Hinsicht jedoch Welten! Die wenigen Leute, die an unserem
Bushcamp vorbei kamen - zu Fuss, im klapprigen Jeep oder hoch zu Esel oder Kamel
- winkten uns im Vorbeigehen zu und wünschten freundlich einen schönen Tag.
Dafür waren wir hier nun in Sachen Verkehr gefordert. Nach über einem Jahr
Linksverkehr (seit Namibia) hatten wir uns in Äthiopien schon wieder an den
Rechtsverkehr gewöhnen können. Die Umstellung auf das Altgewohnte ging einfacher
als erwartet. Auf der Strecke nach Khartum, waren nun aber auf der schmalen
Asphaltstrasse so viele überlange Lastwagen mit noch längeren Anhängern in
halsbrecherischem Tempo unterwegs, dass wir am liebsten neben der Strasse
gefahren wären. Auf dieser Strecke verteilt gab es mehrere Zahlstellen wie auf
den europäischen Autobahnen. Zu unserem grossen Erstaunen wurden wir aber
überall durch gewunken, während die Einheimischen bezahlen mussten. Das hatten
wir in Afrika ja noch nie erlebt, wo es sonst doch immer umgekehrt ist und die
Touristen wie Weihnachtsgänse ausgenommen werden. Schneller als erwartet nährten
wir uns Khartum und damit dem Nil. Überall war es wieder grün, nachdem wir die
letzten Stunden durch karge Halbwüste gerollt waren.
 Der erste
Campingplatz überzeugte uns nicht gerade, weil uns niemand sagen konnte, wo wir
uns hinstellen dürfen und weil die Anlage nach militärischem Übungsplatz aussah.
Also quartierten wir uns im zentrumsnahen, dafür lauten, schmutzigen und
überteuerten Platz beim Blue Nile Sailing Club ein. Campieren auf dem Parkplatz
machte uns zwar auch nicht gerade an, aber immerhin war die Lage direkt am Nil
schön und hier trafen wir auch Stellan und Thomas wieder. Und wir wollten ja nur
eine Nacht bleiben - allerdings wurden acht daraus!
Am ersten Tag in Khartum mussten wir uns zuerst
um die Registration kümmern, der sich alle Ausländer innerhalb dreier Tage nach
Einreise unterziehen müssen. Im Blue Nile Sailing Club beschafften wir uns ein
Schreiben, das bestätigte, dass wir hier residierten. Mali liessen wir im Auto
auf dem Campingplatz und machten uns am frühen Morgen zu Fuss auf zur
Registration mit diesem Brief, Pässen, Passfotos und Kopien im Gepäck. Nach 30
minütigem Fussmarsch durch die Hitze fanden wir im zweiten Anlauf das
unscheinbare Büro - offensichtlich umgezogen - doch noch. Und dann ging die
Bürokratie los: Anstehen, Formulare am Schalter holen, Formulare
ausfüllen, anstehen, Formulare und Unterlagen abgeben, Stempelgebühr bezahlen,
warten, warten, warten, Unterlagen holen und zum nächsten Schalter bringen,
anstehen, Formulare und Pässe abgeben, warten, 40.-$ pro Person für die
Registrierung bezahlen, warten, warten, warten, warten, warten, anstehen, der
Ungeduld wortreich Luft machen, warten, warten, warten, und nach gut 2 Stunden
endlich Pässe mit Registrationsvermerk zurück erhalten. Geschafft - auch wir!
Für den Rückweg gönnen wir uns ein Taxi, zumal wir noch bei der einzigen Bank im
Sudan vorbeischauen wollten, wo Geldbezug über Kreditkarte möglich ist. Aus
embargotechnischen, politischen Gründen ist eine Kreditkarte im Sudan überall
sonst völlig wertlos. Mühevoll erklären wir dem Taxifahrer, der wie eigentlich
alle Leute im Sudan nur arabisch spricht, wohin wir wollten und zeigten ihm den
Stadtplan. "Aywa, aywa" (ja, ja) sagte er immer wieder und nickte bestätigend
mit dem Kopf - verstanden hatte er aber offensichtlich nichts. Auf Geratewohl
kurvte er durch die Stadt, bis uns der Geduldsfaden riss. Endlich hielt er am
Strassenrand an und fragte einen Passanten nach der gesuchten Strasse.
Schliesslich fanden wir die Byblos Bank, jedoch befand sie sich erst im Rohbau.
Geld gab es da bestimmt keines. (Einige Tage später fanden wir die richtige
Filiale doch noch, allerdings war uns die Bezugskommission zu hoch, so dass wir
doch lieber einen Teil unserer mittlerweile spärlichen Bargeldreserven
opferten). Natürlich hatten wir anschliessend noch eine hitzige arabische
Diskussion mit dem Taxifahrer zu überstehen, weil er ganz und gar nicht damit
zufrieden war, dass wir nur den vorgängig ausgehandelten Preis bezahlen wollten,
obwohl die gefahrene Strecke im Endeffekt viel länger war. Wohl nicht unser
Fehler, wenn er seine Stadt nicht kennt, dies aber nicht zugeben kann!
Die nächsten Tage in Khartum vergingen wie im
Flug mit Berichte schreiben, Internetbesuchen, Marktbummel, Pizza Take-away,
Putzen und Waschen (unsere Autowaschtrommel auf dem Dach hatten wir nie mehr in
Betrieb, da sie nur taugt, wenn man mit Sicherheit weiss, dass man abends an
einen Platz kommt, wo die Wäsche gespült und aufgehängt werden kann - diese
Sicherheit gibt es in Afrika aber nicht). Abends wurden wir ab und zu von
Mitgliedern des Sailings-Clubs zum gemeinsamen Abendessen eingeladen. Die Leute
freuten sich über unsere Anwesenheit, plauderten mit uns, schenkten uns
Stadtpläne und Ansichtskarten von Khartum, liessen uns gratis ihre wireless
Internetzugänge benutzen und konnten uns viel über ihr Land erzählen. Da die
Clubmitglieder ausschliesslich der oberen Gesellschaftsschicht angehören, waren
sie alle gut gebildet, sprachen ausgezeichnet englisch, kannten Europa oder die
USA meist aus eigener Erfahrung und konnten interessante Vergleiche anstellen.
Es kam schon vor, dass wir weit über Mitternacht hinaus diskutierten, zum
Beispiel über Sinn und Unsinn internationaler Hilfe, Politik, Familienstrukturen
und die Stellung und Rolle der Frau in der Gesellschaft. Auch wenn die Frauen in
der Sudanesisch-Arabischen Kultur im öffentlichen Leben eine untergeordnete
Rolle spielen, so dreht sich das ganze Familienleben mit allen wichtigen
Entscheidungen um sie. Für die Frauen werden auch heute noch hohe Brautpreise
bezahlt, der Bräutigam wird von den zukünftigen Schwiegereltern genaustens unter
die Lupe genommen, Frauen müssen sich in einer Warteschlange nie hinter Männern
anstellen sondern werden immer vorgelassen (was Barbara selber erleben durfte),
Frauen und sogar Mädchen erhalten immer einen Sitzplatz, auch wenn sich dafür
ein älterer Herr wacklig erheben muss.
Barbaras Gesprächpartner an einem der Abende
entpuppte sich als einer der berühmtesten Sudanesischen Sänger (zu ihrer Schande
muss Barbara gestehen, dass sie sich nicht mehr an seinen Namen erinnert) und er
lud uns prompt zu seinem Konzert ein, dass er am selben Abend einige Häuser
weiter geben würde. Karsten legte sich mit seiner Erkältung lieber früh ins
Bett, so dass Barbara alleine los zog. Der Ort des Geschehens war nicht zu
verfehlen. Menschenmassen strömten auf ein grosses Festzelt zu.
Sicherheitshalber fragte Barbara am Eingang einen der Wachmänner, ob hier
tatsächlich ein Konzert statt finden würde. Sie erntete einen verständnislosen
Blick und wurde ungeduldig hinein gewunken. Im klimatisierten Zelt zierte ein
roter Teppich den Boden vor einer kleinen Bühne.
Unzählige, edel mit weissen
Tischtüchern bedeckte Tische mit jeweils acht noblen weissen Stühlen füllten den
grossen Festraum. Vornehm, für ein Konzert! Genauso vornehm waren auch die Leute
gekleidet. Die Frauen hatten sich in wundervoll gold- und silberbestickte Tücher
gehüllt, wobei das Tuch, das den Kopf bedeckte mehr als Schmuck, denn als
Schleier oder Kopftuch wirkte. Goldschmuck glitzerte um die Wette. Hände und
Füsse zierten kunstvolle Henna-Tattos, wobei vor allem die Fusssohlen, die
Zehen, die Handflächen und die Finger rund um die Nägel eingefärbt waren.
Barbara fühlte sich in ihren verschwitzten Alltagskleidern, den ausgelatschten
Flip-Flops und mit den Trauerrändern unter den Fingernägeln ziemlich deplaziert.
Ihr Unwohlsein verstärkte sich noch, als sie sich einen Sitzplatz suchen musste.
Sollte sie sich alleine an einen Achtertisch setzen? Nahe der Bühne oder irgend
wo in einer Ecke? Oder sollte sie sich doch lieber zu irgend welchen fremden
Leuten an den Tisch setzen? Macht man das hier überhaupt? Und war sie hier
überhaupt wirklich am richtigen Ort? Zumindest die letzte Frage liess sich mit
einem Blick auf den mit den letzten Vorbereitungen beschäftigte Sänger auf der
Bühne leicht beantworten. Schliesslich entschied Barbara sich für einen leeren
Achtertisch etwa in der Mitte des Raums und war überglücklich, als sich nach ein
paar Minuten zwei weitere Frauen an ihrem Tisch niederliessen. Und dann legte
der in einen dunklen Anzug gekleidete Sänger endlich los. Die in Barbaras Ohren
seltsam klingenden orientalischen Tonfolgen und Texte schienen das Publikum zu
begeistern. Alt und Jung strömte auf die Tanzfläche vor der Bühne und tanzte mit
dem Sänger in ihrer Mitte um die Wette. Unzählige Kameramänner rannten mit ihren
Wägelchen mit den grossen Aufnahmemonstern darauf im Raum umher. Auf Fernsehern
und Grossleinwänden liess sich das Geschehen mitverfolgen. Grossaufnahmen
zeigten den Sänger, aber auch die Leute auf der Tanzfläche und das Publikum an
den Tischen. Interessanterweise schauten die Leute immer hemmungslos direkt in
die Kamera, mit einem gelangweilten ernsten Gesichtsausdruck. Kaum war die
Kamera weg, zeigte sich wieder das breites Lachen. Irgendwann wurde der Sänger
abgelöst von Musik ab Tonband. Barbara glaubte an eine kurze Pause, stellte aber
erstaunt fest, dass nun nebeneinander sechs noch feiner gekleidete Leute auf dem
roten Teppich das Zelt betreten hatten und in der Mitte des Raums stehen
blieben. Vor allem das junge Paar in der Mitte wurde immer wieder in
Grossaufnahme gezeigt. Als die Leinwände schliesslich die ineinander
verschlungenen Hände des Paares zeigten, dämmerte es Barbara allmählich. Konnte
es vielleicht sein, dass sie hier mitten in einer Hochzeitsfeier gelandet war?
Tatsächlich! Jetzt machte auch das ganze Drumherum Sinn. Barbara hätte sich als
ungeladener Gast und zudem völlig falsch gekleidet am liebsten unter dem Tisch
verkrochen. So peinlich! Aber nun gab es kein Zurück mehr. Jeder hatte Barbaras
exotische Erscheinung schon lange bemerkt. Mittlerweile wurde bereits das Essen
serviert - etwas anders als wir es von europäischen Hochzeiten kennen: Wie im
Flugzeug rollte ein grosser Cateringwagen durch den Mittelgang und hunderte
folienüberspannte Teller mit abgepackten Menus wurden ausgeteilt. Der zweite
Wagen war voll gepackt mit Getränkebüchsen, um die sich die Leute rissen um den
Inhalt geräuschvoll mit Strohhalmen zu schlürfen. Selbstverständlich bekam auch
Barbara ihre Portion. Anschliessend gab es nochmals Konzert und Tanz und genau
zwei Stunden nach Beginn der Veranstaltung war der ganze Spuck auch schon wieder
vorbei. Zurück im Sailing Club beklagte sich Barbara darüber, dass ihr niemand
gesagt hätte, dass das Konzert auf einer Hochzeitsfeier statt fand. "Kein
Problem", wurde sie beruhigt, " bei sudanesischen Hochzeiten wird sogar die
entfernteste Verwandschaft mit eingeladen, so dass regelmässig 1500 Gäste
anwesend sind. Da kommt es auf jemanden mehr oder weniger nicht an und einen
europäischen Gast zu haben ehrt das Brautpaar - auch wenn sie diesen nicht
kennen."
Am Freitagmorgen machten wir uns auf, den
grossen Kamelmarkt zu besuchen. Ohne GPS-Punkte hätten wir den Platz am Rande
einer grossen Müllhalde (oder vielleicht auch einfach in der komplett mit Müll
übersäten Wüste) etwas ausserhalb Khartums nie gefunden.
Aber auch so waren wir
uns der Richtung nicht sicher und versuchten immer wieder Leute am Strassenrand
zu fragen - ein unmögliches unterfangen, wenn man kein arabisch spricht!
Glücklicherweise hatten wir den mit seinem Auto und Anhänger allein durch Afrika
reisenden Amerikaner Fred mit in unserem Auto. Sein Camel-Zigaretten Päckchen
(mit dem aufgedruckten Kamel auf der Packung) verhalf uns schliesslich zum
richtigen Weg. Abgesehen von etwa 10 Tieren waren weit und breit keine Kamele zu
sehen. Dafür besiedelten hunderte von Kühen die Ebene. Heute wohl kein Markt?
Tja, so ist das nun mal in Afrika!
Am Abend versuchten wir unser Glück nochmals, nun allerdings mit den tanzenden
Derwischen. Hier hatten wir Erfolg. Vor der Mosche, die das Grab des grossen
Sufi-Führers Sheikh Hamed al-Nil bedeckt, konnten wir die sich in Trance
gesungenen und wirbelnden Derwische beobachten.
Jeden Freitag vor
Sonnenuntergang marschieren die Derwische über den Friedhof zum Grabmal. Auf
einem grossen Platz davor versammeln sie sich und begleitet von Trommel und Cimbals beginnen sie die erste Zeile des muslimischen Glaubensbekenntnisses immer
und immer wieder zu rezitieren: La illaha illahllah (Es gibt keinen andern Gott
als Allha). Dieses Ritual heisst "dhikr" und bezweckt, dass sich die Teilnehmer
ganz auf Gott konzentrieren können und ihre Herzen so direkt mit ihm
kommunizieren. Mit der Zeit nimmt das Tempo der Rezitation, des Gesangs zu und
die Derwische beginnen im Kreis zu gehen, zu klatschen und zu tanzen. Dabei kann
es schon mal vorkommen, dass ein Gläubiger ganz vertieft auf seinem eigenen Weg
zu Gott anfängt, sich wie wild auf einem Bein im Kreis zu drehen:
 der wirbelnde
Derwisch. Es ist zudem ein farbenfrohes Schauspiel. Die Derwische tragen
entweder grün-rote wallende Gewänder mit abstrusen Accessoirs oder aber gar
bunte Patchwork Kleider oder Leopardenfelle. Auf dem Platz um die Derwische
herum versammeln sich weitere Gläubige, die in die Rezitation und das Klatschen
mit einstimmen - eine schaurig-schöne Atmosphäre! Barbara war ganz begeistert
von dem Spektakel. Karsten hingegen tat es als Schauspiel für die dummen
Touristen ab - nur, Touristen haben wir in den Menschenmassen vielleicht gerade
mal 10 gesehen ...
Nach einer Woche in Khartum waren wir wieder so
weit erholt (obwohl die Nächte wegen Lärm und Hitze oft schlaflos waren) und mit
allem up to date, dass wir ans Weiterfahren denken konnten.
Als wir allerdings
hörten, dass unsere holländischen und südafrikanischen Reisfreunde im Anmarsch
waren, hängten wir noch einen weiteren Tag an, um zu Erfahren, wie es ihnen in
Äthiopien ergangen war und um Mali und Durban ihr Wiedersehen feiern zu lassen.
Am Mittag des nächsten Tages führte uns die Strasse nun definitiv weiter alles
dem Nil entlang Richtung Norden. Vom Nil allerdings war nicht viel zu sehen. Die
Strasse führte in einigen Kilometern Entfernung vom Fluss durch die Wüste. Grün
und fruchtbar ist nur gerade ein schmaler Streifen dem Flusslauf entlang, wo
bewässert wird. Gleich daneben beginnt die Sand- und Steinwüste.
Verschiedentlich wurden wir unterwegs wieder von der Touristpolice angehalten,
die sich unsere Pässe genaustens ansah und abschrieb. Bei einem Checkpoint gab
es dann auch eine hitzige Diskussion. Der Beamte behauptete steif und fest, dass
unser Visum am 7.7.2007 abgelaufen sei. Diese Datum stand tatsächlich auf dem
Visum und trug den irreführenden Vermerk "Validity". Es kostete uns viel Geduld
dem Beamten klar zu machen, dass damit "Einreise bis" gemeint war.
Bei Meroe, in unmittelbarer Nähe der grossen
Asphaltstrasse durch die Wüste, ragten auf einem Hügelrücken Pyramidenüberreste
in den Himmel, wie abgebrochene Zähne oder gemäss Barbara, wie angebissene
Toblerone-Stücke. Meroe ist eine alte Königsstadt mit den Pyramiden als
königliche Gräber. Diese Pyramiden gehen auf das Königreich der Kushiten zurück
und datieren vom 8. Jahrhundert vor bis zum 3. Jahrhundert nach Christus. Die
frühe Geschichte des Sudans ist eng mit derjenigen Ägyptens verbunden. Von etwas
3000 v.Chr. an stiessen die ägyptischen Heere immer wieder südwärts ins Nubische
Reich vor, auf der Suche nach Gold, Kupfer, guten Steinbrüchen und Sklaven. Die
folgenden Jahrtausende wurden beherrschte von einem wiederholten Wechsel
zwischen agyptischen Pharaonen und nubischen Herrschern, die die Vorherrschaft
über grosse Gebiete des heutigen Sudans ausübten. 780 v.Chr. gelang es
schliesslich König Alara das obere Nubien unter dem Königreich Kush zu vereinen.
Der königliche Friedhof mit seinen über 100 Pyramiden in Meroe zeigt deutlich,
wie stark der Einfluss der ägyptischen Kultur im Nordsudan war. Allerdings
unterscheiden sich die Pyramiden in Meroe erheblich von ihren berühmten Pendants
in Gize, Ägypten.
Die grösste Pyramide in Meroe
ist knapp 30 Meter hoch mit einem Winkel von 70°. Anders als in Ägypten befinden
sich die Gräber nicht in der Pyramide selbst sondern im Felsen darunter. Die Pyramiden waren verputzt
mit einem Lehm-Mörtel um ihnen eine glatte und schimmernde Oberfläche zu
verleihen. Die Sockel waren zusätzlich mit rot, gelb und blauen Sternen bemalt.
Von alle dem ist heute nicht mehr viel übrig. Die meisten Pyramiden sind
"enthauptet" und verfallen langsam. Nicht nur die frühen Grabräuber hatten den
Pyramiden zugesetzt. 1834 hatte der Schatzsucher Guiseppe Ferlini in der ersten
von ihm geöffneten Pyramide tatsächlich einen Goldschatz entdeckte, worauf er
alle anderen Pyramiden ebenfalls "köpfte" und zerstörte, ohne jedoch einen
weiteren Schatz zu finden.
Trotz
allem sind die Pyramiden auch heute noch eindrücklich, wie sie halb vom Sand
zugeweht allen Einflüssen standhaft trotzen und an ihre glorreiche Vergangenheit
erinnern.
An
den Eingängen lassen sich sogar noch einige kunstvolle Reliefs ausmachen und die
zwei rekonstruierten kleinen Pyramiden mit dem sandfarbenen Verputz vermitteln
eine Idee, wie wundervoll die Kunstwerke zu ihrer Glanzzeit ausgesehen haben
müssen. Und das Allerbeste am Ganzen, wir hatten die mystische Stätte ganz für
uns alleine. Wir campierten in den Hügeln gegenüber mit einem wunderbaren Blick
auf die Ruinen.
Königreiche wie Meroe und Kush prägten die
Geschichte des Nordsudans noch lange nach dem Zerfall des pharaonischen
Ägyptens. Ihre Nachfolgekönigreich fungierten fast zwei tausend Jahre lang als
Mittler zwischen den Reichen am Nil Oberlauf und den "Fangründen" für Sklaven
und Elfenbein im Südsudan. Zwischen 1820 und 1876 eroberten ägyptische Truppen
mit Unterstützung der Briten den Sudan. Einer religiösen und politischen
Erneuerungsbewegung unter "Mahdi" (Erlöser) gelang es für kurze Zeit die
Besatzer aus Khartum zu vertreiben, bevor die Briten 1898 das verlorene
Territorium wieder zurückerobern konnten. Die britische Kolonialverwaltung
strebte eine Aufteilung des riesigen Gebietes an. Sie wollte den
muslimisch-arabischen Nordsudan Ägypten und der christlich-animistische Süden
Uganda zuschlagen, wobei sogar Eheschliessungen zwischen Angehörigen der beiden
Teile untersagt wurden. Die Unabhängigkeitsbewegung aber sah die Zukunft in in
einer Einheit des Territoriums. 1955 wurde der Sudan unabhängig. Der Gegensatz
zwischen Nord und Süd blieb aber und stellt auch heute noch ein grosses
Konfliktpotential dar. Die Einführung des Sharia (islamisches Gesetz) als
Rechtskodex für das ganze Land hat die Spannungen nur noch verschärft. Die
Sudanesische Regierung wendete sich immer mehr der radikalen islamistischen
Gesinnung zu, lehnte sich an den Iran an und unterstütze den Irak im Golfkrieg.
Sudan gewährte Terroristen wie Osama Bin Laden Asyl und wurde deshalb von den
USA 1993 auf die schwarze Liste der "Terroristensponsoren" gesetzt. 1995 soll
die Sudanesische Regierung in einen Mordanschlag gegen den ägyptischen
Präsidenten Hosni Mubarak verwickelt gewesen sein. Unter internationalem Druck
wurde 1996 Osama Bin Laden schliesslich nach Afghanistan ins Asyl geschickt.
Zwei Jahre später allerdings bombardierten die USA als Reaktion auf die
Bombenattentate auf ihre Botschaften in Dar-es-Salam und Nairobi eine
Pharmafabrik in Khartum, die chemische Waffen für den Irak und die Al-Quaida
hergestellet haben sollte, jedoch Medikamente für die Vetrinärmedizin
entwickelte. Zur Jahrtausendwende suchte die stabilisierte Sudanesische
Regierung eine Annäherung an den Westen und profitierte von den Erdölexporten.
Während an einem Friedensprozess zwischen Nord und Süd gearbeitet wurde, brach
im Westen des Landes in der Region Dafur 2003 ein neuer Bürgerkrieg aus. Sudans
Zukunft bleibt ungewiss. Von alle dem bekamen wir als Reisende wenig mit. Einzig
Reisen in die Krisenregionen sind nicht möglich.
Unsere ungenaue Sudankarte bescherte uns am
nächsten Tag etwa 70 km Umweg, einen platten Reifen und viel Ärger. Wir wollten
die weite Schleife des Nils erst nach Norden und dann nach Süden mit einer 500km
langen Fahrt quer durch die Wüste abkürzen. Unsere Karte zeigte eine direkte und
geteerte Hauptverbindung etwas nördlich von der Route, die auf allen andern
Karten und in den Führern beschreiben wird. Mehrfach erkundigten wir uns, ob
diese Route tatsächlich auch besteht. "Aywa, aywa!" hiess es immer wieder.
Aber nur schon die Suche nach der Fähre über den Nil gestaltete sich schwieriger als gedacht. Die
wenigen Strassenschilder und Wegweiser waren ausschliesslich in arabisch und wir
fanden niemanden, der ausreichend englisch verstanden hätte um uns den Weg zu
weisen. Nach einigen Kilometern Irrfahrt standen wir dann aber schliesslich an
der Anlegestelle am Nil. Unglaublich wie viele hundert Meter breit hier der
Fluss bereits ist. Anhand der Bewegungen der Fähren konnten wir die heftige Strömung erst
richtig einschätzen. Obwohl wir früher an der Reihe gewesen wären, wurden wir
schliesslich als letztes Auto auf die Fähre dirigiert, rückwärts und im Weichsand nota bene.
Karsten weigerte sich entschieden, unser Auto in diese letzte verbleibende und
viel zu kleine Lücke auf der Fähre zu quetschen - sehr zum Ärger der Besatzung.
Schliesslich setzten wir durch, dass wir erst mit der nächsten Fähre
mitfahren würden. Während Barbara fotografierte zirkelte Karsten also rückwärts
auf Fähre Nummer 2. Dabei wies ihm ein Beatzungsmitglied die Richtung - ohne
dabei Karstens Ansprüchen an klare Zeichen und Angaben gerecht zu werden (das
schafft auch Barbara nie ... vermutlich weil sie diese Winkerei nicht
nachvollziehen kann, da sie selber lieber ohne Hilfe manövriert). Natürlich war
Karsten, sonst schon gereizt, nun stocksauer. Trotz Karstens Protesten winkte
ihn der Helfer konstant weiter rückwärts.
Barbara, nun ebenfalls auf der Fähre,
schriee gerade "stopp" als es heftig zu zischen begann. Eine Metalleiste
hatte sich tief durch unseren Schlammfänger in die Seitenwand des Hinterrads
gefressen. Unser zweiter platte Reifen auf dieser Reise. Der Helfer hatte die
Frechheit, Karsten die Schuld für den Platten zu geben: Er hätte trotz
Einweisung selber die Abstände kontrollieren müssen. Karsten schäumte vor Wut
und wollte am anderen Ufer mit Hilfe der Polizei die Fährbetreiber dazu bringen,
uns den Schaden für den nun unbrauchbaren Pneu zu bezahlen. Aber wie hätte es
auch anders sein können: plötzlich sprach niemand mehr auch nur ein Wort englisch oder
verstand, was wir wollten. Der Gipfel der Unverschämtheit war, dass sie darauf
beharrten, dass wir den Preis für die Überfahrt (8.-$) hätten bezahlen
sollen. Wütend wechselte Karsten den Reifen und wortlos fuhren wir davon. Eine
geteerte Hauptverbindungsstrasse nach Westen fanden wir allerdings trotz langem
Suchen nicht. Es führten nur kleine Pisten westwärts in die Wüste, die sich
immer wieder gabelten und schliesslich ganz verloren. Schliesslich deckten sich
die Antworten der Leute, die wir nach dem richtigen Weg fragten (so weit wir das
Arabisch überhaupt richtig deuten konnten): Kein Durchkommen hier, die einzige
richtige Strasse (geteert!) führt 30 km südlich nach Karima (genau so, wie
das auch überall beschrieben stand, ausser auf unserer Karte ...). Also holperten wir querfeldein
entlang des Nils südwärts um etliche Zeit später und einem halben Tag Umweg auf die brandneue Asphaltstrasse zu stossen.
Im letzten Tageslicht fanden wir einige Kilometer später in der Wüste einen
ruhigen Übernachtungsplatz. Allerdings wie am Vorabend schon so luftig, dass
unser Znacht regelrecht vom Winde verweht wurde.
 Die Farbpalette von cremweiss über goldgelb,
ockerfarben bis schwarz aus Sand und Stein, flach und hüglig begleitete uns den
ganzen nächsten Tag. Das "Gefühl Wüste" bleibt aber weitgehend aus, wenn man im
klimatisierten Auto mit fast 100 kmh über eine Asphaltstrasse blocht und die
Landschaft wie im Film an einem vorbeizieht. Wie viel mehr Wüstenfeeling,
sozusagen "dolbysuround", erlebt man doch, wenn man sich langsam und mühselig
auf kleinen Sandpisten durch die unendliche weite Landschaft quälen muss. Aber
zugegeben, wir und vor allem unser Auto wussten den seltenen Asphalt schon zu
schätzen. Und plötzlich, wie an einer unsichtbaren Trennlinie begrüssten uns
wieder wogende Palmenhaine, saftig grüne Felder und bunte Blumen. Wir hatten
einmal mehr den Nil erreicht, der hier auf seinem grossen Umweg 300 km südwärts
fliesst. Die folgende Fährüberfahrt verlief zur Abwechslung ohne Probleme. Nach
einer kurzen Besichtung der besterhaltenen Pyramiden im Sudan bei Jebel Barkal
(aus der gleichen Zeit wie die Pyramiden bei Meroe, aber durchwegs noch ganz)
erreichten wir das Nest Karima, wo wir hofften, unseren Reifen flicken lassen zu
können.
Eine
entsprechende "Werkstatt" war schnell gefunden, aber zu flicken gab es an unserm
Reifen nicht mehr viel. Also liessen wir ihn mindestens von der Felge nehmen und
statt dessen den zweiten Ersatzreifen aufziehen. Man weiss ja nie ... Ein
weiteres einsames Wüstencamp mit feuerroter im Sand untergehender Sonne
entschädigte uns für alle Mühen.
Nach weiteren 200 km Wüste wurde es bei Dongola
wieder nil-grün. Von jetzt an folgten wir dem Nil wieder auf seinem langen
Weg nordwärts. Je nach Abstand vom Nil führte uns die mittlerweile holprige
Piste während zweier Tage entweder durch Wüste oder durch saftige grüne Felder
und mitten durch typische nubische Dörfer. Die nubischen Häuser, alles
Lehmbauten, haben einen ganz eigenen und unverwechselbaren Baustil.
Eine knapp
zwei Meter hohe Lehmmauer, häufig weiss verputzt, umschliesst grosszügig das
ganze Grundstück. An einer Innenseite der Mauer oder übers Eck ist das Wohnhaus
angebaut, mit vielen in den Innenhof offenen Räumen. Teilweise haben die Häuser
ein kuppelförmiges Dach um möglichst wenig Sonneneinstrahlung abzubekommen. Die
grossen Innenhöfe sind blitzblank sauber, häufig mit Kies ausgestreut und
geschmackvoll begrünt. Eine kleine Oase mitten im Haus. Eindrücklich sind die
überdimensionierten Eingänge. Die doppelflügligen Tore sind kunstvoll und bunt
bemalt, häufig mit geometrischen Formen. Einzelne Figuren sagen dem Kenner sogar
etwas über das Leben des Hausbesitzers aus.
In diesen Dörfern, wie überall im
Sudan, stehen an verschiedenen Orten grosse überdachte Tonamphoren gefüllt mit (Trink)Wasser
für jedermann. Das Wasser darin ist häufig dunkelbraun vom eingeblasenen Sand
und wir konnten uns nie dazu überwinden, einen Schluck davon zu probieren. Die
Einheimischen trinken es aber bedenkenlos. Der Ton der Gefässe ist so porös,
dass die Amphoren aussen immer nass sind und die Verdunstungskälte das Wasser
darin herrlich kühlt.
So einfach und effektiv! Wir haben uns übrigens dieses
Wissen früher schon zu Nutze gemacht und unsere Wasserflaschen gelegentlich in
nasse Tücher gepackt. Vom Amerikaner Fred hatten wir in Khartum Halstücher mit
einer Gelmasse darin geschenkt erhalten, die auf dem gleichen Prinzip basieren.
Einmal nass gemacht, kühlen die Halstücher den Nacken über Stunden - äusserst
angenehm bei dieser Hitze. Sogar Mali kennt die Verdunstungskälte: Wenn es
besonders heiss ist, wickeln wir sie in ein nasses Badetuch. Im Gegensatz zu
einer Dusche lässt sie diese Prozedur freudig über sich ergehen und liegt
stundenlang bewegungslos im oder zumindest auf dem nassen Tuch.
Über weite Strecken entlang des Nils wurden wir
bis auf die Knochen durchgeschüttelt. Die ausgefahrene Sandpiste bestand aus so
schrecklichem Wellblech, dass wir mit nur knapp 10 Stundenkilometern vorwärts
kamen. Dies war das schlimmste Wellblech, dass wir bisher in ganz Afrika erlebt
hatten!
Kein Wunder zweigten immer wieder wenig befahrene Spuren von der
Hauptpiste ab, sobald es die Topographie erlaubte. Häufig war deshalb die Wüste
von einem wilden Muster unzähliger Spuren durchzogen - nicht gerade
umweltfreundlich... Auf diesen kleinen Spuren kamen wir zwar auch nicht
wesentlich schneller voran, weil sie jeweils im Zickzack um Felsen und
Weichsandfelder führten, dafür rumpelte es aber erheblich weniger.
Und das
richtige Wüstengefühl stellte sich so endlich wieder ein. Schwierig war es nur,
weil wir nie genau wussten, ob diese kleinen Spuren auch wirklich wieder auf die
Hauptpiste zurück kommen, oder sich im Sand verlaufen oder gar in eine entgegen
gesetzte Richtung führen würden. Unserem Macun setzte diese Fahrerei offenbar
recht zu: schon wieder einen Platten. Den zweiten innerhalb drei Tagen! Zum
Glück hatten wir unseren zweiten Ersatzreifen in Karima aufziehen lassen, so
dass wir jetzt "nur" das Rad wechseln mussten.
Allerdings standen wir so
schlecht, dass es mehrere Anläufe und Steine brauchte um das Auto schliesslich
mit dem Wagenheber so anzuheben, dass es nicht gleich wieder hinunter krachte
und wir in Windeseile das neue Rad festschrauben konnten. Wir standen nun vor
der schwierigen Entscheidung, ob wir zehn Kilometer zurückfahren sollten ins
nächste Dorf um am arbeitsfreien Freitag eine Werkstatt für die Reparatur zu
suchen oder ob wir es riskieren sollte, ohne ein einsatzfähiges Ersatzrad die
letzten 200 km durch die Wüste zurück zu legen. Die Vernunft siegte und wir
fuhren zurück. Extra für uns wurde die Werkstatt aufgeschlossen und der
Generator angeworfen. Eine halbe Stunden und etliche Diskussionen später war der
Reifen zwar nicht geflickt, aber ein Schlauch eingezogen und aufgepumpt. Es
konnte weitergehen, hoffentlich ohne weiteren Platten!
Obwohl die Leute im Sudan äusserst freundlich
sind und keines Wegs aufdringlich, zogen wir es vor, für unsere Camps einen
einsamen Platz in der Wüste zu suchen. Allerdings konnten wir erst gegen den
frühen Abend campieren, da es vorher noch viel zu heiss war um aus dem
klimatisierten Auto zu klettern. Wenn es für uns auch gegangen wäre, so war es
für Mali fast unmöglich, da der Sandboden so heiss war, dass sie sich nach
wenigen Schritten die Pfoten verbrannte. Und Schatten gab es keinen. Als wir an
einem der Abende gerade gemütlich beim Nachtessen sassen, viel uns in einiger
Entfernung eine braune Wolke auf, die sich vom Boden weit in den Himmel
erstreckte. Das sah nach Sandsturm aus. Die Wolke war aber nicht dunkel und
bewegte sich kaum auf uns zu. Nur sahen wir nicht was auf der vom Auto
verdeckten Seite vor sich ging! Während den letzten Bissen merkten wir
plötzlich, dass sich von dieser Seite her eine schwarze Wand rasend schnell
näherte. Hastig schnappten wir Teller und Pfanne, Becher und Besteck und
schmissen alles wild durcheinander ins Auto. Schon zerrte heftiger Sturmwind and
Kleidern und Haaren und Sand wirbelte durch die Luft. Motorhaube schliessen,
Fenster zu und sofort ins Auto - aber wo ist Mali? Barbara entdeckte sie hinter
einem Felsen und wollte sie ins Auto zerren. Von der ganzen Hektik völlig
verstört, rannte Mali aber in die entgegen gesetzte Richtung. Innert
Minutenschnelle war es stockdunkel geworden und Nase, Mund und Augen füllten
sich sofort mit stechenden Sandkörnern. Laut nach Mali rufend stolperten wir
durch den Sturm ohne das geringste zu sehen und mussten nach einigen Minuten ergebnislos aufgeben, weil
wir selber kaum mehr Luft bekamen und den Weg zurück zum Auto nur mit Mühe
fanden. Wir hofften, dass unsere mit noch ursprünglichen Instinkten ausgestattet
Mali ein einigermassen wind- und sandgeschütztes Plätzchen gefunden hatte und
sich deshalb dort verkriechen wollte, bis der Sturm vorbei war. Und das hatte
sie tatsächlich: als wir den Tränen nahe ins Auto kletterten, lag sie brav auf
ihrem Plätzchen. Während unserer Suchaktion hatte die
hintere Tür offen gestanden, durch welche Mali sich ins Auto retten konnte. Aber nicht nur
Mali war im Auto: auch eine Zentimeter dicke Sandschicht bedeckte alles vom
Boden bis an die Decke. Und das, nachdem wir in erst in Khartum unser Auto innen
gründlich geputzt hatten. Nach etwa zwanzig Minuten war des Schlimmste vorüber.
Es stürmte zwar immer noch, jedoch mit viel weniger Sand in der Luft. Dieses
Furcht einflössend Erlebnis hatte uns wieder einmal deutlich die
Unberechenbarkeit und Gewalt der Natur vor Augen geführt.
Die letzten Kilometer nach Wadi Halfa legten wir
auf einer neuen Piste, teilweise schon geteert, zurück. In einigen Jahren wird
wohl die ganze Strecke dem Nil entlang geteert sein und damit viel an
Mühseeligkeit aber auch viel an Charakter verlieren. Als wir um eine der letzten
Kurven bogen, fiel unser Blick auf endloses Blau, eingebettet in
vegetationsloses Sandgelb. Der Lake Nasser - welch ein Anblick!
Bereits 1902
errichteten die Engländer im ägyptischen Asswan eine erste Staumauer von 2 km
Länge, die nach Erhöhungen vierzig Jahre später eine Gesamthöhe von 51 Metern
erreichte. Der Nil wurde dadurch 275 km flussaufwärts zurück gestaut. 1971 wurde
dieser Damm durch den heutigen neuen Hochdamm ersetzt. Jetzt staut sich der Nil
550 km zurück. Riesige Teile Nubiens, das Herz dieser jahrtausend alten Kultur,
wurden für immer unter Wasser gesetzt. Über 50'000 Nubier mussten
zwangsumgesiedelt werden - nur um einige Jahres später in der neu zugewiesenen
Region das Selbe Schicksal gleich noch einmal zu erleben. Zu allem Übel
profitiert Sudan nicht einmal hinsichtlich des aus dem Stausee gewonnen Stroms.
Das ursprüngliche Wadi Halfa versank ebenfalls
in den Fluten des Lake Nasser. Der neue Ort ist nur ein fader Abklatsch der
versunkenen Stadt und rechtfertigt seine Existenz noch hauptsächlich dadurch,
dass von hier die wöchentliche Fähre über den Lake Nasser nach Asswan in Ägypten
ablegt. Zur Zeit ist diese Verbindung der einzig offene Grenzübergang zwischen
Sudan und Ägypten, zumindest für Touristen. Auch wir waren auf ein Schiff
angewiesen, das uns samt Auto von Wadi Halfa nach Asswan bringen würde. Eine
Autofähre gibt es aber nicht. Autos werden auf Frachtschiffe verladen, die
schwer bepackt von Ägypten südwärts fahren und leer wieder zurück. Die wenigen
Autofahrer, die diese Strapaze auf sich nehmen, werden hier regelrecht von einem
Land ins andere verschifft. Demzufolge sind der Papierkrieg unendlich gross und
die Abläufe kompliziert - vorausgesetzt man hat überhaupt ein Schiff gefunden,
das einem mitnimmt. Mit diesem Wissen wendeten wir uns gleich von Anfang an an
"Mister Fix-it" (seinen richtigen Namen haben wir vergessen). Für seine
schweisstreibende Arbeit bezahlten wir gerne 30.-$, vor allem als uns klar
wurde, dass auch hier niemand (inklusive Beamte) englisch spricht. Mr. Fix-it
begann also noch am gleichen Tag alles in die Wege zu leiten. Ein Frachtschiff
sollte uns drei Tage später, am Dienstag mitnehmen. Es galt nun Zollpapiere,
Schiffspapiere und sonst irgend welche Zettel auszufüllen, Überfahrt und
Hafentaxen zu bezahlen, Ausreiseformalitäten für uns zu erledigen
(selbstverständlich alles an unterschiedlichen Orten), Carnet abzustempeln und
für Mali beim Tierarzt ein arabisches Gesundheitszeugnis zu holen (Kostenpunkt
für das Ganze: 670.-$). Kompliziert?
- Nein, die Schwierigkeiten begannen erst! Nach einem Unfall ist es neuerdings
nicht mehr erlaubt, dass Passagiere mit ihrem Fahrzeug auf dem Frachtschiff
mitreisen dürfen. Fahrzeuginsassen werden gezwungen, die wöchentliche
Passagierfähre zu nehmen und die Verladung und oder Abladung des Autos Fremden
zu überlassen. In Anbetracht der katastrophalen Verlade-Infrastruktur in Wadi
Halfa (es gab weder Rampe noch mobiler Steg, sondern es wurden Zementsäcken,
Holzpaletten und alles was herum lag ad hoc zu wackligen Rampen verwandelt), kam
diese Option für uns schon mal nicht in Frage. Zudem war da ja noch Mali, die
auf der Personenfähre unter keinen Umständen erlaubt war (wir sind wieder in
muslimischen Ländern...). Das Frachtschiff benötigt für die Überfahrt zwei bis
drei Tage und natürlich waren wir nicht bereit, Mali für diese Zeit alleine ins
Auto zu sperren. Nach einigem Hin- und Her hiess es schliesslich, dass eine
Person zusammen mit Auto und Hund reisen dürfe. Das war uns aber nicht genug.
Wir wollten beide mit dem Auto mitreisen und kämpften dafür ganze zwei Tage.
Telefongespräche mit dem Manager der Schifffahrtsgesellschaft, persönliches
Gespräche in seinem Büro, verärgerte Anrufe in Asswan beim Big Boss, und
schliesslich eine schriftliche Schadensverzichtserklärung brachten endlich den
gewünschten Erfolg. Wir durften beide mit dem Auto mitfahren.
Glücklich
verbrachten wir die Wartetage mit Übernachtungen in der Wüste und relaxten
tagsüber in Mr. Fix-it's Haus im Schatten des begrünten Innenhofs. Regelmässig
wurden wir von der Familie am Nachmittag zum "Mittagessen" eingeladen. Ein
schönes Erlebnis für das wir uns am Schluss nur mühevoll mit einem kleinen
Geschenk erkenntlich zeigen durften. Mittlerweile waren auch "unsere"
Südafrikaner in Wadi Halfa eingetroffen und campten mit uns in der Wüste. Als
wir am Montagmorgen gemütlich beim Frühstück sassen, schreckte uns der Anruf von
Mr. Fix-it auf: "Wir könnten noch am selben Nachmittag, also einen Tag früher als
geplant, mit einem anderen Frachtschiff aufbrechen, zusammen mit dem Auto der
Südafrikaner." In Windeseile packten wir zusammen und standen in Kürze im Hafen.
Die Südafrikaner waren glücklich, dass jemand vertrauenswürdiger mit ihrem Auto
reisen würde. Der ganze Morgen verging mit weiterem Papierkrieg und
Autokontrollen. Am Mittag standen wir schliesslich vor unserem Boot, das
allerdings noch voll beladen war mit Gütern aus Ägypten. Man liess uns über zwei
Stunden in der Sonne schmoren, während das Boot in Handarbeit abgeladen wurde.
Schliesslich war alles soweit und wir konnten uns das Boot anschauen. Unmöglich,
auf noch so fantasievollen Rampen vom Steg die zwei Meter Höhendifferenz zum
Boot mit unseren Autos zu überwinden. Zumal das Boot gerade mal so breit war wie
unsere Autos lang. Einmal auf die genau autobreiten Blechbrücken über dem
Laderaum gefahren, bleibt kein Zentimeter Manövrierspielraum. Schliesslich
versuchten wir es an einem andern Steg. Hier ging es nun gut einen Meter runter
aufs Schiff. Mit einiger Ungeduld überredete uns schliesslich Mr. Fix-it der
Holzpaletten-Rampe zu vertrauen und aufs Schiff zu fahren.
Bis auf einiges
Knarren und Ächzen ging es bei uns tatsächlich erstaunlich gut. Wir waren drauf
und schnell wurde unser Auto mit dicken Seilen am Abschlepphacken hinten und
vorne am Schiff festgebunden.
Vorne blieben uns etwa 50 Zentimeter und hinten
etwa 30 bis es senkrecht ins etwas 1.5 Meter tiefer unten plätschernde Wasser
ging. Eine Reling oder Absperrung gab es nicht. Links und rechts vom Auto hatten
wir gerade mal knapp zehn Zentimeter bevor es zwei Meter runter in den Laderaum
ging. Keuchend kam plötzlich ein Zöllner angerannt und übermittelte, dass der
Big Boss seine Meinung geändert hätte und nun doch nur eine Person mit dem Auto
mitfahren dürfe. Zu spät - alle Ausreiseformalitäten, insbesondere der
Ausreisestempel im Pass, waren erledigt. Wir fuhren beide mit, wobei nun
plötzlich der Kapitän opponierte. Dank Mr. Fix-it wurde auch das gefixt.
 Der Südafrikanische Landy mit etwas weniger Bodenfreiheit kämpfte mittlerweile
mit der Rampe. Die Vorderräder auf dem Schiff und die Hinterräder auf dem Steg
hatte sich das Holzpalett unter dem Landy verkeilt. Es ging weder vor noch
zurück. Wir legten Sandbleche, hämmerten, zerrten und versuchten auf alle
möglichen und unmöglichen Arten den Landy zu bewegen. Erst als wir die Hälfte
des Paletts weg gebrochen hatten, gelang es Rey aufs Schiff zu fahren.
Nachmittags um vier legten wir endlich ab - nur um einige Meter ausserhalb
wieder anzulegen und nach langwierigen Versuchen ein demoliertes
Frachtschiff ins Schlepp zu nehmen. Bis nach Asswan sollten wir diesen beladenen
aber kaputten Frachter mitschleppen. Das konnte ja dauern! Kurz vor Mitternacht
wurden die Maschinen gestoppt. Vor uns lag die sudanesisch-ägyptische Grenze,
die aber nur tagsüber zu Bürozeiten (wann auch immer die hier sind) passiert
werden darf. Wir hatten deshalb eine ruhige und wegen des konstanten Windes auf
See auch angenehm kühle Nacht in unserem Auto. Am nächsten Morgen kontrollierten
die Zöllner unser Schiff. Damit liessen wir den Sudan mit seinen freundlichen
Leuten offiziell hinter uns und strebten neuen Ufern zu.
Luxor, 10. August 2007
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